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Was ist eigentlich Machine Learning? Artikelserie

Machine Learning ist Technik und Mythos zugleich. Nachfolgend der Versuch einer verständlichen Erklärung, mit folgenden Artikeln:

Machine Learning ist nicht neu, aber innovativ!

Machine Learning oder maschinelles Lernen ist eine Bezeichnung, die dank industrieller Trends wie der Industrie 4.0, Smart Grid oder dem autonomen Fahrzeug zur neuen Blüte verhilft. Machine Learning ist nichts Neues und die Algorithmen sind teilweise mehrere Jahrzehnte alt. Dennoch ist Machine Learning ein Innovationsinstrument, denn während früher nur abstrakte Anwendungen, mit vornehmlich wissenschaftlichen Hintergrund, auf maschinellem Lernen setzten, finden entsprechende Algorithmen Einzug in alltägliche industrielle bzw. geschäftliche, medizinische und gesellschaftsorientierte Anwendungen. Machine Learning erhöht demnach sowohl unseren Lebensstandard als auch unsere Lebenserwartung!

Maschinelles Lernen vs künstliche Intelligenz

Künstliche Intelligenz (Artificial Intelligence) ist eine Bezeichnung, die in der Wissenschaft immer noch viel diskutiert wird. Wo beginnt künstliche Intelligenz, wann entsteht natürliche Intelligenz und was ist Intelligenz überhaupt? Wenn diese Wortkombination künstliche Intelligenz fällt, denken die meisten Zuhörer an Filme wie Terminator von James Cameron oder AI von Steven Spielberg. Diese Filme wecken Erwartungen (und Ängste), denen wir mir unseren selbstlernenden Systemen noch lange nicht gerecht werden können. Von künstlicher Intelligenz sollte als mit Bedacht gesprochen werden.

Maschinelles Lernen ist Teilgebiet der künstlichen Intelligenz und eine Sammlung von mathematischen Verfahren zur Mustererkennung, die entweder über generelle Prinzipien (das Finden von Gemeinsamkeiten oder relativen Abgrenzungen) funktioniert [unüberwachtes Lernen] oder durch das Bilden eines Algorithmus als Bindeglied zwischen Input und gewünschten Output aus Trainingsdaten heraus.

Machine Learning vs Deep Learning

Deep Learning ist eine spezielle Form des maschinellen Lernens, die vermutlich in den kommenden Jahren zum Standard werden wird. Gemeint sind damit künstliche neuronale Netze, manchmal auch verschachtelte “herkömmliche” Verfahren, die zum einen mehrere Ebenen bilden (verborgene Schichten eines neuronalen Netzes) zum anderen viel komplexere Zusammenhänge erlernen können, was den Begriff Deep Learning rechtfertigt.

Machine Learning vs Data Mining

Data Mining bezeichnet die Erkenntnisgewinnung aus bisher nicht oder nicht hinreichend erforschter Daten. Unüberwachte Verfahren des maschinellen Lernens, dazu gehören einige Verfahren aus dem Clustering und der Dimensionsreduktion, dienen explizit dem Zweck des Data Minings. Es sind Verfahren, die uns Menschen dabei helfen, vielfältige und große Datenmengen leichter interpretieren zu können. Machine Learning ermöglicht jedoch noch weit mehr als Data Mining.

Scikit-Learn Machine Learning Roadmap

Darstellung der vier Gebiete des Machine Learning: Die scikit-learn-Roadmap. Die Darstellung ist nicht vollständig, sondern umfasst nur die in scikit-learn implementierten Verfahren. Das Original-Bild ist interaktiv und zu finden auf scikit-learn.org

Geht mit Künstlicher Intelligenz nur „Malen nach Zahlen“?

Mit diesem Beitrag möchte ich darlegen, welche Grenzen uns in komplexen Umfeldern im Kontext Steuerung und Regelung auferlegt sind. Auf dieser Basis strebe ich dann nachgelagert eine Differenzierung in Bezug des Einsatzes von Data Science und Big Data, ab sofort mit Big Data Analytics bezeichnet, an. Aus meiner Sicht wird oft zu unreflektiert über Data Science und Künstliche Intelligenz diskutiert, was nicht zuletzt die Angst vor Maschinen schürt.

Basis meiner Ausführungen im ersten Part meines Beitrages ist der Kategorienfehler, der von uns Menschen immer wieder in Bezug auf Kompliziertheit und Komplexität vollführt wird. Deshalb werde ich am Anfang einige Worte über Kompliziertheit und Komplexität verlieren und dabei vor allem auf die markanten Unterschiede eingehen.

Kompliziertheit und Komplexität – der Versuch einer Versöhnung

Ich benutze oft die Begriffe „tot“ und „lebendig“ im Kontext von Kompliziertheit und Komplexität. Themenstellungen in „lebendigen“ Kontexten können niemals kompliziert sein. Sie sind immer komplex. Themenstellungen in „toten“ Kontexten sind stets kompliziert. Das möchte ich am Beispiel eines Uhrmachers erläutern, um zu verdeutlichen, dass auch Menschen in „toten“ Kontexten involviert sein können, obwohl sie selber lebendig sind. Deshalb die Begriffe „tot“ und „lebendig“ auch in Anführungszeichen.

Ein Uhrmacher baut eine Uhr zusammen. Dafür gibt es ein ganz klar vorgegebenes Rezept, welches vielleicht 300 Schritte beinhaltet, die in einer ganz bestimmten Reihenfolge abgearbeitet werden müssen. Werden diese Schritte befolgt, wird definitiv eine funktionierende Uhr heraus kommen. Ist der Uhrmacher geübt, hat er also genügend praktisches Wissen, ist diese Aufgabe für ihn einfach. Für mich als Ungelernten wird diese Übung schwierig sein, niemals komplex, denn ich kann ja einen Plan befolgen. Mit Übung bin ich vielleicht irgendwann so weit, dass ich diese Uhr zusammen gesetzt bekomme. Der Bauplan ist fix und ändert sich nicht. Man spricht hier von Monokontexturalität. Solche Tätigkeiten könnte man auch von Maschinen ausführen lassen, da klar definierte Abfolgen von Schritten programmierbar sind.

Nun stellen wir uns aber mal vor, dass eine Schraube fehlt. Ein Zahnrad kann nicht befestigt werden. Hier würde die Maschine einen Fehler melden, weil jetzt der Kontext verlassen wird. Das Fehlen der Schraube ist nicht Bestandteil des Kontextes, da es nicht Bestandteil des Planes und damit auch nicht Bestandteil des Programmcodes ist. Die Maschine weiß deshalb nicht, was zu tun ist. Der Uhrmacher ist in der Lage den Kontext zu wechseln. Er könnte nach anderen Möglichkeiten der Befestigung suchen oder theoretisch probieren, ob die Uhr auch ohne Zahnrad funktioniert oder er könnte ganz einfach eine Schraube bestellen und später den Vorgang fortsetzen. Der Uhrmacher kann polykontextural denken und handeln. In diesem Fall wird dann der komplizierte Kontext ein komplexer. Der Bauplan ist nicht mehr gültig, denn Bestellung einer Schraube war in diesem nicht enthalten. Deshalb meldet die Maschine einen Fehler. Der Bestellvorgang müsste von einem Menschen in Form von Programmcode voraus gedacht werden, so dass die Maschine diesen anstoßen könnte. Damit wäre diese Option dann wieder Bestandteil des monokontexturalen Bereiches, in dem die Maschine agieren kann.

Kommen wir in diesem Zusammenhang zum Messen und Wahrnehmen. Maschinen können messen. Messen passiert in monokontexturalen Umgebungen. Die Maschine kann messen, ob die Schraube festgezogen ist, die das Zahnrad hält: Die Schraube ist „fest“ oder „lose“. Im Falle des Fehlens der Schraube verlässt man die Ebene des Messens und geht in die Ebene der Wahrnehmung über. Die Maschine kann nicht wahrnehmen, der Uhrmacher schon. Beim Wahrnehmen muss man den Kontext erst einmal bestimmen, da dieser nicht per se gegeben sein kann. „Die Schraube fehlt“ setzt die Maschine in den Kontext „ENTWEDER fest ODER lose“ und dann ist Schluss. Die Maschine würde stetig zwischen „fest“ und „lose“ iterieren und niemals zum Ende gelangen. Eine endlose Schleife, die mit einem Fehler abgebrochen werden muss. Der Uhrmacher kann nach weiteren Möglichkeiten suchen, was gleichbedeutend mit dem Suchen nach einem weiteren Kontext ist. Er kann vielleicht eine neue Schraube suchen oder versuchen das Zahnrad irgendwie anders geartet zu befestigen.

In „toten“ Umgebungen ist der Mensch mit der Umwelt eins geworden. Er ist trivialisiert. Das ist nicht despektierlich gemeint. Diese Trivialisierung ist ausreichend, da ein Rezept in Form eines Algorithmus vorliegt, welcher zielführend ist. Wahrnehmen ist also nicht notwendig, da kein Kontextwechsel vorgenommen werden muss. Messen reicht aus.

In einer komplexen und damit „lebendigen“ Welt gilt das Motto „Sowohl-Als-Auch“, da hier stetig der Kontext gewechselt wird. Das bedeutet Widersprüchlichkeiten handhaben zu müssen. Komplizierte Umgebungen kennen ausschließlich ein „Entweder-Oder“. Damit existieren in komplizierten Umgebungen auch keine Widersprüche. Komplizierte Sachverhalte können vollständig in Programmcode oder Algorithmen geschrieben und damit vollständig formallogisch kontrolliert werden. Bei komplexen Umgebungen funktioniert das nicht, da unsere Zweiwertige Logik, auf die jeder Programmcode basieren muss, Widersprüche und damit Polykontexturalität ausschließen. Komplexität ist nicht kontrollier-, sondern bestenfalls handhabbar.

Diese Erkenntnisse möchte ich nun nutzen, um das bekannte Cynefin Modell von Dave Snowden zu erweitern, da dieses in der ursprünglichen Form zu Kategorienfehler zwischen Kompliziertheit und Komplexität verleitet. Nach dem Cynefin Modell werden die Kategorien „einfach“, „kompliziert“ und „komplex“ auf einer Ebene platziert. Das ist aus meiner Sicht nicht passfähig. Die Einstufung „einfach“ und damit auch „schwierig“, die es im Modell nicht gibt, existiert eine Ebene höher in beiden Kategorien, „kompliziert“ und „komplex“. „Einfach“ ist also nicht gleich „einfach“.

„Einfach“ in der Kategorie „kompliziert“ bedeutet, dass das ausreichende Wissen, sowohl praktisch als auch theoretisch, gegeben ist, um eine komplizierte Fragestellung zu lösen. Grundsätzlich ist ein Lösungsweg vorhanden, den man theoretisch kennen und praktisch anwenden muss. Wird eine komplizierte Fragestellung als „schwierig“ eingestuft, ist der vorliegende Lösungsweg nicht bekannt, aber grundsätzlich vorhanden. Er muss erlernt werden, sowohl praktisch als auch theoretisch. In der Kategorie „kompliziert“ rede ich also von Methoden oder Algorithmen, die an den bekannten Lösungsweg an-gelehnt sind.

Für „komplexe“ Fragestellungen kann per Definition kein Wissen existieren, welches in Form eines Rezeptes zu einem Lösungsweg geformt werden kann. Hier sind Erfahrung, Talent und Können essentiell, die Agilität im jeweiligen Kontext erhöhen. Je größer oder kleiner Erfahrung und Talent sind, spreche ich dann von den Wertungen „einfach“, „schwierig“ oder „chaotisch“. Da kein Rezept gegeben ist, kann man Lösungswege auch nicht vorweg in Form von Algorithmen programmieren. Hier sind Frameworks und Heuristiken angebracht, die genügend Freiraum für das eigene Denken und Fühlen lassen.

Die untere Abbildung stellt die Abhängigkeiten und damit die Erweiterung des Cynefin Modells dar.

Data Science und „lebendige“ Kontexte – der Versuch einer Versöhnung

Gerade beim Einsatz von Big Data Analytics sind wir dem im ersten Part angesprochenen Kategorienfehler erlegen, was mich letztlich zu einer differenzierten Sichtweise auf Big Data Analytics verleitet. Darauf komme ich nun zu sprechen.

In vielen Artikeln, Berichten und Büchern wird Big Data Analytics glorifiziert. Es gibt wenige Autoren, die eine differenzierte Betrachtung anstreben. Damit meine ich, klare Grenzen von Big Data Analytics, insbesondere in Bezug zum Einsatz auf Menschen, aufzuzeigen, um damit einen erfolgreichen Einsatz erst zu ermöglichen. Auch viele unserer Hirnforscher tragen einen erheblichen Anteil zum Manifestieren des Kategorienfehlers bei, da sie glauben, Wirkmechanismen zwischen der materiellen und der seelischen Welt erkundet zu haben. Unser Gehirn erzeugt aus dem Feuern von Neuronen, also aus Quantitäten, Qualitäten, wie „Ich liebe“ oder „Ich hasse“. Wie das funktioniert ist bislang unbekannt. Man kann nicht mit Algorithmen aus der komplizierten Welt Sachverhalte der komplexen Welt erklären. Die Algorithmen setzen auf der Zweiwertigen Logik auf und diese lässt keine Kontextwechsel zu. Ich habe diesen Fakt ja im ersten Teil eingehend an der Unterscheidung zwischen Kompliziertheit und Komplexität dargelegt.

Es gibt aber auch erfreulicherweise, leider noch zu wenige, Menschen, die diesen Fakt erkennen und thematisieren. Ich spreche hier stellvertretend Prof. Harald Walach an und zitiere aus seinem Artikel »Sowohl als auch« statt »Entweder-oder« – oder: wie man Kategorienfehler vermeidet.

„Die Wirklichkeit als Ganzes ist komplexer und lässt sich genau nicht mit solchen logischen Instrumenten komplett analysieren. … Weil unser Überleben als Art davon abhängig war, dass wir diesen logischen Operator so gut ausgeprägt haben ist die Gefahr groß dass wir nun alles so behandeln. … Mit Logik können wir nicht alle Probleme des Lebens lösen. … Geist und neuronale Entladungen sind Prozesse, die unterschiedlichen kategorialen Ebenen angehören, so ähnlich wie „blau“ und „laut“.

Aus diesen Überlegungen habe ich eine Big Data Analytics Matrix angefertigt, mit welcher man einen Einsatz von Big Data Analytics auf Menschen, also in „lebendige“ Kontexte, verorten kann.

Die Matrix hat zwei Achsen. Die x-Achse stellt dar, auf welcher Basis, einzelne oder viele Menschen, Erkenntnisse direkt aus Daten und den darauf aufsetzenden Algorithmen gezogen werden sollen. Die y-Achse bildet ab, auf welcher Basis, einzelne oder viele Menschen, diese gewonnenen Erkenntnisse dann angewendet werden sollen. Um diese Unterteilung anschaulicher zu gestalten, habe ich in den jeweiligen Quadranten Beispiele eines möglichen Einsatzes von Big Data Analytics im Kontext Handel zugefügt.

An der Matrix erkennen wir, dass wir auf Basis von einzelnen Individuen keine Erkenntnisse maschinell über Algorithmen errechnen können. Tun wir das, begehen wir den von mir angesprochenen Kategorienfehler zwischen Kompliziertheit und Komplexität. In diesem Fall kennzeichne ich den gesamten linken roten Bereich der Matrix. Anwendungsfälle, die man gerne in diesen Bereich platzieren möchte, muss man über die anderen beiden gelben Quadranten der Matrix lösen.

Für das Lösen von Anwendungsfällen innerhalb der beiden gelben Quadranten kann man sich den Fakt zu Nutze machen, dass sich komplexe Vorgänge oft durch einfache Handlungsvorschriften beschreiben lassen. Achtung! Hier bitte nicht dem Versuch erlegen sein, „einfach“ und „einfach“ zu verwechseln. Ich habe im ersten Teil bereits ausgeführt, dass es sowohl in der Kategorie „kompliziert“, als auch in der Kategorie „komplex“, einfache Sachverhalte gibt, die aber nicht miteinander ob ihrer Schwierigkeitsstufe verglichen werden dürfen. Tut man es, dann, ja sie wissen schon: Kategorienfehler. Es ist ähnlich zu der Fragestellung: “Welche Farbe ist größer, blau oder rot?” Für Details hierzu verweise ich Sie gerne auf meinen Beitrag Komplexitäten entstehen aus Einfachheiten, sind aber schwer zu handhaben.

Möchten sie mehr zu der Big Data Analytics Matrix und den möglichen Einsätzen er-fahren, muss ich sie hier ebenfalls auf einen Beitrag von mir verweisen, da diese Ausführungen diesen Beitrag im Inhalt sprengen würden.

Mensch und Maschine – der Versuch einer Versöhnung

Wie Ihnen sicherlich bereits aufgefallen ist, enthält die Big Data Analytics Matrix keinen grünen Bereich. Den Grund dafür habe ich versucht, in diesem Beitrag aus meiner Sicht zu untermauern. Algorithmen, die stets monokontextural aufgebaut sein müssen, können nur mit größter Vorsicht im „lebendigen“ Kontext angewendet werden.

Erste Berührungspunkte in diesem Thema habe ich im Jahre 1999 mit dem Schreiben meiner Diplomarbeit erlangt. Die Firma, in welcher ich meine Arbeit verfasst habe, hat eine Maschine entwickelt, die aufgenommene Bilder aus Blitzgeräten im Straßenverkehr automatisch durchzieht, archiviert und daraus Mahnschreiben generiert. Ein Problem dabei war das Erkennen der Nummernschilder, vor allem wenn diese verschmutzt waren. Hier kam ich ins Spiel. Ich habe im Rahmen meiner Diplomarbeit ein Lernverfahren für ein Künstlich Neuronales Netz (KNN) programmiert, welches genau für diese Bilderkennung eingesetzt wurde. Dieses Lernverfahren setzte auf der Backpropagation auf und funktionierte auch sehr gut. Das Modell lag im grünen Bereich, da nichts in Bezug auf den Menschen optimiert werden sollte. Es ging einzig und allein um Bilderkennung, also einem „toten“ Kontext.

Diese Begebenheit war der Startpunkt für mich, kritisch die Strömungen rund um die Künstliche Intelligenz, vor allem im Kontext der Modellierung von Lebendigkeit, zu erforschen. Einige Erkenntnisse habe ich in diesem Beitrag formuliert.

Interview – Data Science in der Automobilbranche

Interview mit Herrn Dr. Florian Neukart, Principal Data Scientist der
Volkswagen Group of America

Herr Dr. Florian Neukart ist Principal Data Scientist der Volkswagen Group of America. Herr Neukart arbeitete nach seiner Promotion in der Informatik an der University of Brasov als Consultant für Business Analytics bei SAP und wechselte 2013 als Data Scientist zu Audi. 2015 übernahm er für mehr als ein Jahr die Funktion als Chief Technology Officer des Volkswagen Data Labs, bis er September 2016 zu Volkswagen in die USA wechselte. Darüber hinaus ist er bereits seit 2010 in der Forschung und Lehre für Quantum Computing, maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz tätig und zudem Autor des Buches „Reverse Engineering the Mind – Consciously Acting Machines and Accelerated Evolution“.

Data Science Blog: Herr Dr. Neukart, Sie sind einer der führenden Data Scientists in der Automobilbranche. Schlägt Ihr Herz mehr für die automobile Praxis oder für die Forschung?

Das kann ich so klar nicht trennen – ich habe das Glück, seit Jahren in beiden Welten tätig sein zu können, und was für mich dabei den besonderen Reiz ausmacht, ist die Möglichkeit, neuste Forschung in die Praxis zu überführen, also anhand von realen Problemstellungen zu verifizieren, ob eine Theorie praxistauglich ist oder nicht. Umgekehrt gilt das genauso – es kommt vor, dass ich mich mit Fragestellungen konfrontiert sehe, für welche die erforderliche analytische Mathematik noch nicht entwickelt wurde, was wieder zu neuer Forschung und innovativen Ideen anregt. Schon mein ganzes Leben bin ich getrieben von Neugierde und will verstehen, wie Dinge funktionieren, unabängig davon, ob es sich um die Gruppendynamik und Selbstorganisation von Herzzellen, quantenphysikalisches Verhalten von subatomaren Teilchen, autonom agierende Fahrzeuge, Fluktuationsprognosen in Märkten oder die Auswertung und Interpretation von Sprache handelt. Dabei ist es zwar primär die Mathematik, die mir hilft, Zusammenhänge zu verstehen und zu interpretieren, aber erst die Technologien und Plattformen, die über die letzten Jahre entwickelt wurden, um etwa rechenintensive Mathematik zu parallelisieren, Daten im Hauptspeicher zu halten und effizient abzufragen, machen unsere Arbeit erst möglich und richtig interessant.

Data Science Blog: Welche Rolle spielt Data Science derzeit für die Automobilbranche? Sicherlich dreht sich gerade alles um das autonome Fahrzeug?

Natürlich sind selbstfahrende Fahrzeuge und Mobilität ein grosses Thema bei OEMs. Aber Data Science ist viel umfassender. Data Science hat bereits Einzug in die technische Entwicklung, Einkauf, Marketing, Logistik, Produktion, Sales, After Sales und Retail gehalten. Speziell der Connected Customer wird immer bedeutender, da sich die internationale Wettbewerbsfähigkeit in naher Zukunft auch über die neuen technischen und Serviceangebote definieren wird, die mit Hilfe von Data Science und maschinellem Lernen möglich werden. Bezogen auf selbstfahrende Fahrzeuge beginnen wir, das gesamte Ökosystem, bestehend aus Infrastruktur und unterschiedlichen Verkehrsteilnehmern, als Multi-Agentensystem zu betrachten. Vehicle to Vehicle und Vehicle to X-Kommunikation gewinnen an Bedeutung, und speziell die Einführung von sozialen Komponenten wird entscheidende Vorteile bringen. Beispielhaft gesprochen, können Ziele der Flotte sein, die Sicherheit für die Passagiere und andere Verkehrsteilnehmer (Passanten, Radfahrer, Motorräder, Fiaker :-)) zu maximieren und gleichzeitig den Verkehrsfluss zu optimieren. Es macht wenig Sinn, eine Ampel an einer Kreuzung auf Rot zu schalten, wenn die Kreuzung gefahrlos durchquert werden kann. Davon abgesehen werden in naher Zukunft alle Fahrzeuge mit ähnlichen Sensoren ausgestattet sein, etwa Kameras, LiDAR, Radar, Ultraschall und Mikrofonen zur akustischen Umfeldwahrnehmung. Ein weiteres Szenario versetzt die Stadtverwaltung in die Lage zu erkennen,  wo der Verkehrsfluss stockt und was getan werden muss, um diesen zu optimieren. Das „was getan werden muss“ ist extrem interessant – etwa könnte man die Strassen digital werden lassen, also Asphaltstraßen durch Glas ersetzen und durch OLEDs ergänzen. Damit sind dann dynamische Veränderungen der Verkehrsführung möglich. Materialtechnisch ist das machbar, denn die Oberflächenstruktur von Glas kann so entwickelt werden, dass dieses auch im Regen rutschfest ist. Glas kann zudem so flexibel und gleichzeitig stabil designet werden, dass auch darüberfahrende LKWs es nicht zum Brechen bringen. Die Abwärme der Displays kann zur Beheizung genutzt werden – es gibt somit auch im Winter keine Eisfahrbahnen mehr. Die Stadt kann sich selbst als Agent in die Multi-Agentenumgebung einbringen und zur Erreichung der definierten Ziele beitragen.

Data Science Blog: Was sind gerade heiße Themen im Automotive-Sektor? Und demgegenüber gestellt, welche Themen spielen in der KI-Forschung gerade eine größere Rolle?

Data Science hat in jedem Bereich Einzug gehalten. Jedes Thema ist auf seine Art „heiss“, egal ob es sich „nur“ um eine Marktprognose, die vorhin erwähnten Multi-Agentensysteme, kollaborative Arbeitsumgebungen, in denen Menschen und Roboter in der Produktion zusammenarbeiten, oder etwa persönliche Assistenten handelt. Nehmen wir eine Marktprognose als Beispiel. Hier sind für den menschlichen Entscheider nicht nur die internen Verkaufszahlen und alle Indikatoren, die etwa die Weltbank liefert, interessant, sondern auch die Gesellschaftsentwicklung und die politischen Strukturen.

In der KI-Forschung ist das für mich interessanteste Thema die generelle KI, also die Schaffung einer künstlichen Intelligenz, die domänenunabhängig komplexe Probleme selbstständig lösen kann. Vieles, was uns einfach scheint, hat sich aber als sehr komplex für KI-Systeme herausgestellt. Der Weg zur generellen KI und künstlichem Bewusstsein führt für mich über das Verständnis von Dingen, wobei ich hier sowohl ein Atom als auch eine komplexe Lebensform als „Ding“ zusammenfasse. Ein Teil, der uns (und Software) hilft, Dinge in deren Kontext und Umgebung einzubetten und zu beschreiben, ist die Sprache – etwa ist ein Reifen Teil eines Fahrzeugs und eine Schraube Teil eines Reifens. Das und die Kombinationen mit anderen Säulen der KI, wie etwa Computer Vision, Logik und Entscheidungsfindung, Maschine Learning und Multi-Agentensystemen (Multi-Agenten-Lernen), bringt uns der generellen und bewussten KI Schritt für Schritt näher, wobei ich mir hier nicht anmaße, eine Definition für Bewusstsein zu geben.

Data Science Blog: Welche Tools verwenden Sie bzw. Ihr Team bei Ihrer Arbeit? Setzen Sie dabei auch auf Open Source?

Wir sind „technolgieagnostisch“, wir versuchen also, für jeden Anwendungsfall die beste Technologie zu finden und einzusetzen. Das ist mal ein Tool oder eine Plattform von einem grossen Softwarehersteller, mal eine Lösung von einem Startup, wobei wir die meisten unserer Projekte doch in R oder Python umsetzen. Wir packen auch unsere Eigenentwicklungen in Libraries, die wir momentan aber noch ausschliesslich intern nutzen.


Data Science Blog: Was macht für Sie einen guten Data Scientist aus? Nach wem suchen Sie, wenn Sie einen Data Scientist einstellen?

Die wichtigste Eigenschaft scheint mir ein Drang nach dem Verständnis von Zusammenhängen und Dingen zu sein – eine starke Neugier – wobei ich unter „Dingen“ je nach Kontext Atome genauso wie komplexe Maschinen einordne.

Dass ich über Atome und komplexe Maschinen schreibe, hat damit zu tun, weil ich auch durch meinen zweiten Job an der Uni vielfältigste Daten analyiseren durfte. Und dass ich Beiträge zu Maschinenlernen und Physik verfasse, liegt tatsächlich in erster Linie an meiner Neugierde. Die Mathematik, Physik, Neurowissenschaft, Informatik … sind Grundlagen, die sich jemand aneignen wird, wenn sie/er verstehen will.

Data Science Blog: Wie sieht Ihrer Erfahrung nach der Arbeitsalltag als Data Scientist nach dem morgendlichen Café bis zum Feierabend aus?

Idealerweise startet der Tag nicht mit Emails :-). Wenn ich aus meiner Erfahrung sprechen darf, dann lässt einen die Data Science auch nach der Arbeit nicht los und die Grenzen von Beruf und Hobby überlagern sich irgendwann. Schon während dem morgendlichen Café tauschen wir uns über die jeweiligen Projekte aus – jeder sollte soviel wie möglich über alle Projekte wissen, um nicht lediglich Nischenwissen aufzubauen. Scrum hat sich auch in Bezug auf Data Science bewährt – je nachdem, wie viele Data Scientists an einem Thema arbeiten und wie viele Tasks anfallen, machen tägliche Stand-Ups Sinn – speziell wenn ein Projekt viele Subkomponenten hat, die als grosses Ganzes funktionieren müssen, hat so jeder Beteiligte immer vollste Transparenz. Die meiste Zeit fliesst natürlich in die Entwicklung der jeweiligen Prototypen / Produkte, aber etwa ein Drittel sollte reserviert sein für das Durcharbeiten von Papers mit aktuellsten Forschungsergebnissen und dem Einarbeiten in neue Technologien. Ich habe mal gesagt bekommen „Data Scientists sprechen nicht viel“, was für die Zeit während der Entwicklungsarbeit (und meiner Erfahrung nach auf die meisten Informatiker) auch zutrifft, da wir zumeist den Zustand eines komplexen Systems im Kopf behalten müssen – tatsächlich aber sprechen wir sehr gerne und viel über mögliche Arten, Probleme zu verstehen und zu lösen. Für meine Kollegen und mich ist Data Science kein bloßer Job, wir beschäftigen uns auch nach dem Feierabend noch mit relevanter Lektuere oder privaten Side-Projects – wie gesagt, wir haben das Glück, Job und Hobby zu vereinen.

Data Science Blog: Für alle Studenten, die demnächst ihren Bachelor, beispielsweise in Informatik, Mathematik oder Wirtschaftslehre, abgeschlossen haben, was würden sie diesen jungen Damen und Herren raten, wie sie einen guten Einstieg ins Data Science bewältigen können?

Natürlich ist ein solider methodischer Hintergrund, darunter Statistik, Mathematik und Informatik mit Fokus auf Machine Learning erforderlich, und auch das technische Wissen, die Theorie in Produkte zu überführen, also in Programmiersprachen und relevante Libraries, Datenbanken, Streaming und IoT. Das sind Kernkompetenzen, aber wie gesagt, am Anfang steht die Neugierde. Ich rate jedoch jedem, sich einem Problem nicht ausschließlich über die Theorie zu nähern, sondern erst zu versuchen, das Problem zu verstehen und das theoretische Wissen hands-on aufzubauen. Niemand weiss alles, und die Recherche rund um ein Problem ist ein wichtiger Lernprozess, aus dem man unglaublich viel mitnehmen kann. Data Science ist immer hands-on, und Neugierde führt zum Ziel.

Maschinelles Lernen mit Entscheidungsbaumverfahren – Artikelserie

Das Entscheidungsbaumverfahren (Decision Tree) ist eine verbreitete Möglichkeit der Regression oder Klassifikation über einen vielfältigen Datensatz. Das Verfahren wird beispielsweise dazu verwendet, um die Kreditwürdigkeit von Bankkunden zu klassifizieren oder auch, um eine Funktion zur Vorhersage einer Kaufkraft zu bilden.

Sicherlich hat beinahe jeder Software-Entwickler bereits einen Entscheidungsbaum (meistens binäre Baumstrukturen) programmiert und auch Maschinenbauingenieure benutzen Entscheidungsbäume, um Konstruktionsstrukturen darzustellen. Im Data Science haben Entscheidungsbäume allerdings eine etwas andere Bedeutung, denn ein Data Scientist befasst sich weniger mit dem manuellen Erstellen von solchen Baumstrukturen, sondern viel mehr mit Algorithmen, die ausreichend gute (manchmal: best mögliche) Baumstrukturen automatisch aus eine Menge mehr oder weniger bekannter Daten heraus generieren, die dann für eine automatische Klassifikation bzw. Regression dienen können.

Entscheidungsbäume sind also eine Idee des überwachten maschinellen Lernens, bei der Algorithmen zum Einsatz kommen, die aus einer Datenmenge heraus eine hierarchische Struktur von möglichst wenigen Entscheidungswegen bilden. Diese Datenmenge stellt eine sogenannte Trainingsstichprobe dar. Meiner Erfahrung nach werde Entscheidungsbäume oftmals in ihrer Mächtigkeit, aber auch in ihrer Komplexität unterschätzt und die Einarbeitung fiel mehr selbst schwerer, als ich anfangs annahm: In der Praxis stellt das Verfahren den Data Scientist vor viele Herausforderungen.

In dieser Artikelserie wird es vier nachfolgende Teile geben (Verlinkung erfolgt nach Veröffentlichung):